Die Menge der Menschen, die einer bestimmten These zustimmen, ist kein Kriterium für die Wahrheit der These, sondern belegt allenfalls, dass bezüglich der These ein irgendwie erreichter Konsens besteht.
Der Satz: „Wenn soundsoviele Menschen die Aktion oder Meinung A für wahr halten, dann muss sie ja wohl wahr sein“ hat keinerlei Relevanz für die Beantwortung der Frage, ob A tatsächlich wahr ist.
Daran ändert sich auch nichts durch den Zusatz „soundsoviele kluge Menschen“, unsere Regierung, der Papst oder sogar „soundsoviele Experten“ sind auch dieser Überzeugung (siehe Blogbeitrag Thema „Überzeugung“.)
Die Frage, ob A wahr ist, entscheidet sich in der Folge auch nicht in einer Diskussion von Menschen oder Medien, die erfahrungsgemäß der Antwort „…ist wahr…“ nahe stehen. Zum Beispiel ist die Frage, ob eine Nachricht wahr ist, die in der Zeitung „Die Welt“ formuliert wurde, nicht anhand eines Vergleichs mit den Aussagen, die die Bild Zeitung dazu liefert zu beantworten. Auch ein Vergleich zwischen den Meldungen von ARD und ZDF ist nach Lage der Dinge heutzutage nicht mehr zielführend. Zu glauben, solch ein Vergleich würde reichen, kann nur ausnahmsweise mit Naivität erklärt werden. Plausibler erscheint mir Kant’s Vermutung, dass Faulheit und Feigheit die Menschen daran hindere, sich aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu befreien. Dies würde sie daran hindern, Antworten auf wichtige Fragen zu suchen. Stressreaktionen und Angst würde Kant heutzutage sicher auch berücksichtigen.
Der Satz „die Aktion oder Meinung A ist wahr“ muß mit einer gegensätzlichen, zumindest aber ganz anderen These verglichen werden, damit man sich zuletzt aufgrund des eigenen wohlbegründeten Urteils eine eigene Meinung bilden kann. Reichen die zur Verfügung stehenden Daten nicht aus muss weiter recherchiert werden.
Dies entspricht der von Karl Popper geforderten „Falsifikation“. Entweder stellt sich heraus, dass der Satz „A ist wahr“ der Kritik widersteht oder er erweist sich als nicht wahr. Heute ist es weithin üblich geworden zu verlangen, sich Behauptungen ohne eigene Prüfung zu unterwerfen.
Dies ist ein Beleg für meine Befürchtung, dass wir nicht mehr in einer Zeit verantwortlichen wissenschaftlichen Arbeitens leben.
Wir sind im Post-Wissenschafts-Zeitalter angekommen.
Entscheidungen werden gefällt aufgrund von Glaubenssätzen und Überzeugungen (die beide sehr viel näher miteinander verwandt sind, als man glauben mag oder hofft). Dazu gehört natürlich der Wille und die Macht diese durchzusetzen. Wahr ist, was „par ordre du mufti“ verkündet wird. Kritik, eine andere Meinung oder gar Widerspruch wird mit einem entschlossene „Basta!“ zurückgewiesen. Zuletzt erscheint die ex Kathedra als alternativlos formulierte Wahrheit als ebenso unumstößlich wie ein vom Papst verkündeter Glaubenssatz.
Und ein Glaubenssatz ist „wenn soundsoviele sagen A ist wahr, dann muss A wahr sein!“ ja auch.
Die Struktur des ebenso verbreiteten Satzes: „wenn unsere Regierung das und das macht, dann muss das, was sie macht, ja wohl richtig sein. Sie wäre ja wohl nicht die Regierung, wenn sie das Richtige nicht wüßte“ ähnelt dem Beispiel.
Der Satz hat alleine keinen Wahrheitswert. Die Wirksamkeit solcher Sätze hat nichts damit zu tun, dass diese Sätze vollkommen sinnfrei sind.
Die Folgen von Kritikunfähigkeit und Uneigenständigkeit deutet ein bekanntes Sprichwort mit einer Frage an:
"Und wenn alle von der Brücke springen, springst Du dann hinterher?“
Heute wird diese Frage von vielen Menschen leider, wieder einmal mit einem „Ja!“ beantwortet und dann springen sie, wie es schon so oft in der Geschichte geschehen ist.
Um zu zeigen, wohin diese Haltung führt, verweise ich auf das Milgram-Experiment: http://www.milgram-experiment.com