Um die Chance sich gegen manipulative Übergriffe in Wort und Bild noch besser schützen zu können zu erhöhen, möchte ich auf einen weiteren, von Psychologie und Kognitionswissenschaften beschriebenen Effekt hinweisen, um gewünschtes Verhalten hervorzurufen.
Es macht einfach einen Unterschied, um diese Sachverhalte zu wissen. Von mehreren Lesern habe ich jetzt schon gehört, dass es ihnen immer besser gelingt manipulative Frames und narrative Muster zu erkennen. Mit Staunen und Grausen wird vielen bewusst, wie dicht gewoben das sprachliche Netz ist, in dem wir „zappeln“.
Hier soll jetzt der Begriff „Salient Exemplar Effect“ vorgestellt werden.
In der Psychologie und den angewandten Kognitionswissenschaften bedeutet „Salienz“, einen aus einem Kontext ausgewählten Reiz, der besonders betont und hervorgehoben wird. Dadurch tritt dieses Element in unserer Wahrnehmung in den Vordergrund und wird dadurch leichter „sichtbar“ und damit leichter zugänglich.
Man kann es sich so vorstellen: das Wort in einem gesprochenen Satz, dass sich durch Betonung, Lautstärke, unterstützende Mimik und Körpersprache abhebt, wird stärker wahrgenommen, besser erinnert und ist leichter ansprechbar und abrufbar. Es ist ein Grundbaustein für einen Frame und ständig wiederholtes Element eines Narratives.
Auf diesem Wissen baut der Salient Exemplar Effect auf.
Eines der wirksamsten Bilder der letzten Monate waren die „Sargstapel“ in Italien. Obwohl der Kontext, aus dem diese Bilder stammen, mittlerweile zugänglich ist, löst nur die Erinnerung an diese Bilder ein lähmendes Entsetzen aus.
Die Sargfotos sind ein gutes Beispiel aus der „Anwendung“.
Ähnliche Wirkung wurde erzielt mit Köpfungs- und Attentatsvideos zur Festigung der Frames rund um einen unmenschlichen und bedrohlichen Islam.
Der Haupteffekt besteht darin, dass die wiederholte kognitive Aufnahme emotional stark stimulierender Bilder und Geschichten die darin dargestellte Realität bald nicht mehr als einzelnes Ereignis erscheinen lässt, sondern als ein „weit verbreitetes“ geradezu typisches Geschehen innerhalb des mitgelieferten Zusammenhangs „abgespeichert“ wird. Am Ende glauben die Betrachter der Bilder und Geschichten, dass „so etwas“ die Ganze Zeit passiere und immer damit gerechnet werden müsse. Auch wenn solche Ereignisse tatsächlich nur sehr selten geschehen.
Saliente Muster wirken wie Verstärker.
Wegen der Folgen der Konfrontation mit extremen, eigens ausgewählten Bildern und Geschichten auf unsere Psyche, kann von einem „kollektiven, medial induziertem Mini-Trauma“ gesprochen werden.
Nach der massiven weltweiten Induktion von Angst mit
einer Vielzahl katastrophaler Nachrichten und bedrohlicher Bilder in den letzten Monaten kann von einem bevölkerungsweiten posttraumatischen Stress-Syndrom gesprochen werden.
Wie bei anderen Traumata ist auch hier mit Folgeschäden zu rechen. Von den vielen körperlichen Schäden abgesehen, führen Traumata unter anderem zu paranoidem Denken und dem kognitiven „Aufblasen“ möglicher Gefahrenszenarien rund um das traumatische Kernerlebnis - was im Falle des Beispiels der Särge zu fortgesetzter Todesangst führt.
aude sapere
wage es, selbst zu denken